09 June 2016

Mehr als eine Gebietsreform – ein persönlicher Kommentar

Neue Governance durch radikale Subsidiarität aufbauen!

In den Verwaltungsstrukturen werden finanzielle Mittel, Knowhow und Personal konzentriert und die bislang verteilten schwachen Kräfte gebündelt. Sie geben vieles ‚nach unten’ ab. Zwischen den Maschen des Landstadt-Netzwerkes stelle ich mir ein Selbstveranwortungsland vor. Ich denke an ein kommunitaristisches System, das den sozialen Gemeinschaften der Orte und Vororte, der Stadtteile und Nachbarschaften viel zutraut und überlässt. Dort, wo nach den Prinzipien der Subsidiarität Aufgaben abgegeben werden, müssen sich die Regeln des Handelns erleichtern. Selbsthilfe und Bürokratie vertragen sich nicht gut. Der lebenspraktische Alltag schreibt hier die Tagesordnung und ein Globalbudget oder Bürgerhaushalt wird in die Hände der Verantwortlichen gelegt. Aus diesem kann man zahlen, ohne nach Programmen zu schielen und Förderquoten zu berücksichtigen. Die übergeordneten Verwaltungsebenen halten Spezialwissen für die komplizierten Verwaltungsabläufe bereit, sie verstehen sich als Helfer und Ermöglicher, wenn nicht gar als Dienstleister.

 

Ein Versuch in Sachen Demokratie wagen!

Der sattsam bekannten Erschöpfung von Engagierten und Ehrenamtlichen wird entgegengewirkt, denn in meiner Phantasie gibt es nicht nur ein Recht auf Mitwirkung auf der lokalen Ebene, sondern auch eine Bürgerpflicht mitzuentscheiden. Die heute oft sehr anstrengenden Bürgerbeteiligungsprozesse haben geregelte Abläufe. Entscheidungsprozesse laufen digital ab, nahezu nebenbei beim Geldabheben oder Wochenendeinkauf. Per Los werden berufene Bürger in die lokalen Parlamente hinzugezogen; in den Behörden gibt es gut ausgebildete Verantwortliche für Beteiligungsprozesse – sie sind sozusagen Übersetzer von unscharf artikulierten Wünschen oder Protesten der Bürgerinnen und Bürger in die Sprache von Politik und Verwaltung, der Finanzen und Gesetze. Und umgekehrt vermitteln sie politische Entscheidungen verständlich in die Öffentlichkeit. Das ist nichts, das man so nebenbei und nach der Arbeit erledigen könnte. Das setzt ‚die Politik’ nicht außer Kraft, denn viele Fragen übersteigen den lokalen Horizont und das eigene, abgesteckte Interesse. Vor allem unpopuläre Entscheidungen und konkurrierende Vorhaben brauchen Verständigung, Vermittlung und Verhandlung. Deswegen werden große regionale Dialoge angestiftet – hier werden die regionalen Benchmarks öffentlich ausgehandelt und verbindlich beschlossen. Die Politik bleibt in der Verantwortung.

 

Anstrengung lohnt sich!

Das klingt nach Wettbewerb zwischen den Regionen? Fürwahr. Die Entwicklung verläuft ungleicher, aber nicht ungerecht. Das klingt nach Anstrengung? Genau. Die Landstädte müssen sich anstrengen, um ein Knoten im Netz zu werden oder zu bleiben. Nur aus ihrer historischen Bedeutung erhalten sie diesen Rang nicht und sie behalten ihn nicht auf Ewigkeit. Vielmehr werden Erreichbarkeiten, Mobilität, Verkehrsverbindungen und eine geteilte Identität zu zentralen Standortfaktoren. Das Städtenetzwerk ist dynamisch, die Entwicklungen verlaufen vielfältig und manchmal überraschend. „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine“, beschreibt Bert Brecht das große Gleichnis der Vergänglichkeit. Kreativität, Nachhaltigkeit und Solidarität werden belohnt. Der Erfolg stärkt das Wir-Gefühl. Ein gutes Lebensgefühl.

 

Ein Nachsatz:
Spinnen kann jeder, wen interessiert schon das Jahr 2050, wenn es um 2019 geht! Und Politik ist die Kunst des Möglichen, das sagte schon Otto von Bismarck. Zwischen Vision und Machbarkeit liegt das Experiment. Die IBA Thüringen bietet diese Gelegenheit. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, das Neue zu erfinden und zu erproben. In diesem Fall könnte es ein Demokratieprojekt in Eigenverantwortung sein. Allein die vergrößerten Gebietskulissen lösen keine Probleme, vielmehr müssen sie als Handlungsrahmen ausgefüllt werden; das Selbstverantwortungsland braucht Innovationen und Regeln; die Akteure brauchen die Gelegenheit für den Probelauf und das Nachbessern gewonnener Erkenntnisse. Das ist die Arbeitsweise der IBA. Vielleicht helfen einige der dargestellten Ideen und das IBA Experiment, der aktuellen Kraftanstrengung Gebietsreform etwas abzugewinnen, das einen Mehrwert verspricht. Keine Verwaltungseffizienzoptimierungsmaschine, besser Gebietsreform plus x! 

 

Marta Doehler-Behzadi, Geschäftsführerin der IBA Thüringen