Chronik einer Ausstellung, die nicht stattgefunden haben wird
Der nachfolgende Text der IBA Geschäftsführerin ist in gekürzter Form am 27.06.2015 unter dem Titel ‚Die verbrannte Chance’ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen:
In der Nacht zum 22. April brannte die Weimarer Viehauktionshalle in Folge einer Brandstiftung bis auf die Grundmauern nieder. Damit hat die Stadt einen in mehrfacher Hinsicht geschichtsträchtigen Ort verloren. Noch hält die öffentliche Debatte an, was nach dieser Katastrophe geschehen soll. Aber schon seit vielen Jahren gibt es keinen Konsens zur Standortentwicklung für das Gelände hinter dem Weimarer Hauptbahnhof. Abgesehen von einem Supermarkt an der Straßenseite gibt es keinen Grund, hierher zu kommen. Hinter dem Bahnhof – das kennt man in Weimar nicht.
Dabei war die Viehauktionshalle ein atemberaubendes Architekturerlebnis. Der 70 Meter lange, 35 Meter breite und im Inneren 25 Meter hohe Fachwerkbau war 1939 als Vorführhalle für Viehauktionen der Landesbauernschaft Thüringen errichtet worden. In Anlehnung an die im Dritten Reich geschätzten ländlichen Bautraditionen entwarf der Architekt Ernst Flemming eine riesige Scheune, deren herausragendes Merkmal der stützenfreie Innenraum mit der sichtbaren Fachwerkkonstruktion war. Sie befand sich auf dem Gelände der ehemaligen Holzfabrik von Karl Friedrich Otto Hetzer. Er gilt als Begründer des modernen Holzleimbaus und erlangte mit dem sogenannten Hetzerbinder zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit Ansehen und Patente. Die Viehauktionshalle konnte sich in dieser herausragenden Ingenieurbautradition sonnen und sie gleichsam überstrahlen. An den zwei authentischen unscheinbaren Hetzerhallen in unmittelbarer Nachbarschaft der Viehauktionshalle informiert heute eine noch unscheinbarere Gedenktafel über die Tatsache, dass an dieser Stelle Industrie- und Architekturgeschichte geschrieben wurde.
Im Mai 1942 wurde die Viehauktionshalle als Sammelplatz Thüringer Juden vor der Deportation und Vernichtung missbraucht. Damit hatte der Heimatschutzstil in der Gauhauptstadt Weimar endgültig seine tümelnde Unschuld verloren. „Hatten die Nazis diesen Ort ausgewählt, um uns tiefer zu demütigen, um Juden mit Tieren gleichzustellen?“, fragt Laura Hillmann, einzige Überlebende der Deportation in ihren Lebenserinnerungen. Immerhin: Auch über dieses Kapitel informiert eine Gedenktafel auf dem Gelände, das trotz seiner Bedeutung eine typische Gewerbebrache mit Trampelpfaden durch struppiges Grün geblieben ist.
Vom damaligen Intendanten des Weimarer Kunstfestes Bernd Kauffmann wieder entdeckt, wurde die Viehauktionshalle Ende der neunziger Jahre zur Location für Aufführungen hochrangiger Künstler und Compagnien. Trotz eines Veranstaltungsprogramms von Weltrang ist es seinerzeit nicht gelungen, die sanierungsbedürftige Halle als kulturelle Adresse dauerhaft in Weimar zu verankern. Schlimmer noch: Die Viehauktionshalle verfiel immer weiter. Das Dach zeigte sich zuletzt als Flickenteppich von Notreparaturen; das statische System hätte noch einige Jahre durchgehalten, doch drei jugendliche Brandstifter machten der Holzkonstruktion den Garaus.
Im Mai 2015 wollte die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen ihre erste zentrale Ausstellung präsentieren. Sie hatte die Viehauktionshalle als nahezu idealen Ort für sich entdeckt. Einen Sommer lang sollten hier nicht nur Ideen für die Zukunft Thüringens präsentiert, sondern auch Konzepte für Gebäude und Gelände selbst entwickelt werden. Zum Zeitpunkt des Brandes hatte die IBA mit dem Aufbau der Ausstellung noch nicht begonnen. Unter dem Titel 'STADTLAND' sollte ein anderer Blick auf Thüringen gerichtet werden.
Was bedeutet es, wenn die Scheune zur Kulturoase wird, die Stadt zum Produzenten von Lebensmitteln, wenn Megabytes die PS ersetzen oder ein Dorf zum Technologieführer wird? Was ist in Zeiten der Urbanisierung von Lebensstilen und der Globalisierung von Produktion eigentlich noch Stadt und was ist Land? Und was bedeutet es für die Zukunft, wenn die Menschen weniger werden und das Feld mehr wert ist als das Haus? Die Planergemeinschaft Raumlabor aus Berlin hatte für die IBA Thüringen eine Inszenierung entworfen, die genau auf Architektur und Atmosphäre der Viehauktionshalle zugeschnitten war. Eine Ausstellungsarchitektur aus Gewächshäusern hätte eine Landschaft im Haus gebildet. Und die Viehauktionshalle als ländlicher Bau in der Stadt hätte zur großen Metapher für dieses Thema werden können. Mit ihrer eigenen, vielfältigen und gebrochenen Geschichte hätte sie die Transzendenz zwischen Stadt und Land auf ideale Weise zum Ausdruck gebracht.
Für die Viehauktionshalle kamen diese Ideen zu spät. Umso dringlicher stellen sich heute Fragen nach der Rettung der denkmalgeschützten und sanierungsbedürftigen Hetzerhallen und einem würdigen Gedenkort, der nicht in Erinnerung erstarrt. Die historischen Spuren und baukulturellen Traditionen könnten zeitgenössisch fortgeschrieben werden, Kultur und Kommerz, Gebäude und Freiraum eine neuartige Symbiose eingehen. Nach dem Brand der Viehauktionshalle hatten die IBA Thüringen und Raumlabor kurzfristig ein temporäres Ausstellungssystem aus Baugerüsten vorgeschlagen, um die bereits entwickelten Inhalte doch noch zeigen und einen Treffpunkt für öffentliche Diskussionen anbieten zu können. Eine Ausnahmegenehmigung vom geltenden Bebauungsplan konnte die Stadt Weimar auf die Schnelle nicht in Aussicht stellen. Am Ende des Sommers wird also keine Ausstellung stattgefunden haben, dort wo einmal die Viehauktionshalle stand. Nach ihrem tragischen Verlust ist es aber dringend geboten, sich mit der Geschichte des Geländes auseinanderzusetzen und vor allem: mit seiner Perspektive.
Die Diskussionen in der Stadt gehen weiter, so am 29.07.2015 bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion im Deutschen Nationaltheater. Stadt und Konsumgenossenschaft gehen aufeinander zu, der Freistaat Thüringen stellt Unterstützung für die Gestaltung des Gedenkortes in Aussicht. Das sind Schritte in die richtige Richtung, die für die IBA Thüringen freilich zu spät kommen. Die Ausstellung wurde Anfang Juni abgesagt. Die IBA Thüringen geht mit ihrem ersten STADTLAND Sommer auf Reisen.