Eine IBA ist radikal, sonst ist sie keine IBA

Eine IBA ist radikal, sonst ist sie keine IBA

Gertrudis Peters, Geschäftsführerin der Architektenkammer Thüringen, im Gespräch mit Dr. Marta Doehler-Behzadi.
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Interview, das im Mai 2015 im Regionalteil Thüringen des Deutschen Architektenblatts erschien.

Frau Dr. Doehler-Behzadi, Sie sind seit Mai 2014 Geschäftsführerin der IBA Thüringen GmbH. Sie haben sich mit Enthusiasmus der Aufgabe gewidmet. Was reizt Sie an der Tätigkeit? Was waren die größten Herausforderungen im letzten Jahr?

Die IBA Thüringen gehört zu den größten gesellschaftlichen und baukulturellen Projekten in Deutschland. Sie stellt offene Fragen, auf die wir noch keine Antwort wissen, aber dringend brauchen. Am Ende steht keine Ausstellung für die Galerie, sondern der Realitätstest. An einer solchen Aufgabe mitzuwirken, ist aufregend und anregend für alle Beteiligten und für mich persönlich beglückend.

Was war die größte Herausforderung? Mit meinem Start bei der IBA Thüringen wurde ein großer, lang vorbereiteter, öffentlicher Projektaufruf lanciert. Wenige Wochen später lagen bei der IBA Thüringen 248 Vorschläge aus dem ganzen Land auf dem Tisch. Der Ideenfundus in seiner unglaublichen Vielfalt spiegelte freilich auch die Unschärfe des eigenen Aufrufs wider. Nach einem Jahr intensiver Diskussionen im Team und Fachbeirat gelingt es uns heute besser, die Fragen, auf die wir Antworten suchen, zugespitzt bis provokativ zu formulieren. Nun arbeiten wir alle miteinander daran, die Ideen der ersten IBA Kandidaten zu qualifizieren. Unsere Rolle ist es dabei, immer wieder das IBA Niveau einzufordern, also konsequent das Neue zu fordern und das Querdenken in die Strukturen, Akteurskonstellationen, Verfahren und Organisationsform hineinzutragen, diesem Neuen aber auch eine Gestalt, einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Dieses Spannungsfeld zwischen Projektbetreuung vor Ort und der Formulierung einer eigenen starken Aussage, Botschaft oder These ist für die IBA Thüringen aktuell die größte Herausforderung.

Sie haben den Staffelstab der IBA nach der Gründungsphase übernommen. Ein Strauß an Leitthemen war für das Land bereits skizziert. Welche programmatische Alleinstellung kristallisiert sich für die IBA Thüringen aus Ihrer Sicht heraus? 

Die IBA Thüringen braucht ein Profil der radikalen Innovation, das einen Mehrwert gegenüber anderen (und guten) Landesprogrammen für Thüringen entwickelt und nach außen deutlich machen kann. Das müssen wir uns selbst und den IBA Kandidaten im Land abverlangen. Wir müssen also neue und überraschende Denkpositionen einnehmen und den Mut zur Provokation und zum Experiment haben. Dazu brauchen wir Arbeitsmethoden, die diesen kreativen Freiraum, den eine IBA genießt, auch füllen können. Wir können das auf verschiedenen Wegen erreichen, etwa durch internationales Knowhow, werkstattartige Arbeitsprozesse des Design Thinking, die Qualifizierungsmittel von Wettbewerben, konkurrierenden und kooperativen Verfahren, künstlerische Interventionen und kulturelle Projekte und anderes mehr. Thematisch fokussieren wir uns immer stärker auf den eklatanten Widerspruch zwischen Leere und Überfluss, die neu entstehenden Energielandschaften und neue Organisationsformen, von Commons und Co-Produktionen bis zu Ressourcenkreisläufen und neuen Teilhabemodellen. Aber wie Sie schon sagten: Das kristallisiert sich gerade heraus und ist noch keine abgeschlossene Agenda.

Jede IBA lebt von ihren gebauten Ergebnissen. Wird aus jedem IBA Kandidaten ein IBA Projekt? Und: Wie viele Projekte braucht es Ihrer Erfahrung nach, um das Motiv einer IBA erlebbar zu machen und Aufmerksamkeit zu generieren?

Jeder Kandidat, der den anspruchsvollen Maßstäben und Kriterien an eine zeitgenössische IBA genügt, kann IBA Projekt mit der Perspektive der Realisierung werden. Aber ich bin vorsichtig, was Zahlen angeht. Vielleicht ist die Frage auch gar nicht: Wie viele Kandidaten es braucht, sondern eher: Wie viel ist nötig? Und: Wie wenig sind genug?

Wie verstehen Sie Ihre Rolle? Sind Sie Moderatorin eines Prozesses oder Kuratorin mit individuellen programmatischen Setzungen? 

Frühstückst Du noch oder kuratierst du schon?, fragte Ralf Schlüter 2013 im Kunstmagazin art. Das Kuratieren avanciert ja gerade zu einem Zauberwort in allen möglichen Disziplinen und gesellschaftlichen Feldern. Ich verstehe das im Übrigen auch als eine Gegenreaktion auf falsch verstandene Partizipations- und Moderationsprozesse, in der eigene Positionen der Veranstalter bis zur Unkenntlichkeit verschwunden sind. Diesen Wunsch nach ‚Neutralität’ in den Prozessen habe ich auch in meinem vorangegangen Berufsleben nie so ganz geteilt. Kurz: Ich muss da keine Gegensätze auflösen.